Anwendung der Visual Phasing Methode an Chromosom 1 mithilfe der programmierten Excel-Datei von Steven Fox

Wenn ihr die Möglichkeit habt drei Vollgeschwister zu testen, dann gibt es eine weitere tolle Sache, die ihr mit euren DNA-Ergebnissen machen könnt, und zwar die von Kathy Johnston entwickelte Visual Phasing-Methode auszuprobieren. Sie ermöglicht es euch eure DNA-Segmente allen vier Großelternteilen zuzuordnen (ohne dabei die Eltern oder die Großeltern selbst testen zu müssen), indem man die DNA-Rekombinationspunkte der drei Geschwister miteinander vergleicht. Um jedoch festzustellen, welchem der Großelternteile ein bestimmtes DNA-Segment gehört, braucht man weitere genetische Verwandte unterschiedlicher Familienlinien zum Vergleich. Idealerweise sollten es mehrere Cousins oder Cousinen 2. Grades von beiden Seiten sein, aber auch etwas weiter entfernte Verwandte haben sich als sehr nützlich erwiesen.

Ich selbst habe keine Vollgeschwister, glücklicherweise trifft es aber sowohl auf meinen Vater als auch auf meine Mutter zu. Meine Mutter und meinen Onkel mütterlicherseits habe ich schon vor einigen Jahren testen lassen und als ich das erste Mal von der Visual Phasing-Methode in dem großartigen Blog von Blaine Bettinger gelesen habe, wusste ich sofort was ich als nächstes tun würde – einen DNA-Test für meine Tante bestellen!

In meiner ursprünglichen Fassung erklärte ich wie man die Visual Phasing-Methode manuell anwendet, doch ich hielt eine Überarbeitung für sinnvoll, da ich es mir mittlerweile nicht mehr vorstellen kann, Visual Phasing ohne die programmierte Excel-Datei von Steven Fox zu machen. Der ganze Vorgang geht um einiges schneller voran! Nachdem man die autosomalen DNA-Rohdaten bei GEDmatch hochgeladen hat, sollte man der Visual Phasing Gruppe auf Facebook beitreten – das ist im Moment der einzige Ort, wo man diese Datei herunterladen kann. Jedoch kann man mit der Excel-Datei erst etwas anfangen, wenn man weiß, wie die Visual Phasing-Methode funktioniert und generell ein gutes Verständnis der genetischen Genealogie hat. Bevor wir also anfangen, sollten wir erst einen kurzen Blick auf die Grundlagen der genetischen Genealogie werfen. (Wenn ihr bereits mit den Grundlagen gut vertraut seid, könnt ihr direkt zum zweiten Teil übergehen.)

TEIL I – DIE GRUNDLAGEN

1.1 Die Vererbung der Chromosomen

Die DNA eines Menschen ist auf 23 Chromosomenpaare verteilt, 22 autosomale Chromosomenpaare und ein Geschlechtschromosomenpaar (entweder XX für Mädchen oder XY für Jungen). Es sind also immer zwei Kopien desselben Chromosoms (bis auf das Geschlechtschromosom) vorhanden – eine von der Mutter und eine vom Vater vererbt. Bei der Entstehung eines Kindes wird die autosomale DNA aus beiden Chromosomenkopien der Eltern neu rekombiniert und jeweils ein neu zusammengesetztes Chromosom an das Kind weitergegeben. Die Stellen, an denen es zu einer Neuvermischung der DNA kommt, nennt man Crossing-over oder schlicht Rekombinationspunkt.

Schaubild 1. Die Vererbung der autosomalen Chromosomen. (Die Großeltern haben selbstverständlich auch zwei Chromosomenkopien, werden aber aus Gründen der Vereinfachung nur mit einer dargestellt.)

Bei der Vererbung der Geschlechtschromosomen sieht es ein wenig anders aus. Die Mädchen bekommen eine neu rekombinierte Kopie des X-Chromosoms von der Mutter und eine unveränderte Kopie vom Vater, die ausschließlich die X-DNA der Großmutter väterlicherseits enthält. Jungs bekommen ein unverändertes Y-Chromosom vom Vater und ein neu rekombiniertes X-Chromosom von ihrer Mutter, welches sie dann unverändert an ihre Töchter weitergeben.

Schaubild 2. Die Vererbung der Geschlechtschromosomen

1.2 Die GEDmatch One-to-one compare-Anwendung

GEDmatch ist die beste Drittanbieter-Webseite, wenn es darum geht mit seinen DNA-Ergebnissen weiterzuarbeiten, also der Ort um seine DNA-Rohdaten hochzuladen, sobald man sie hat. Es bietet mehrere nützliche Anwendungen und eine davon ist die Anwendung One-to-one compare, welche man für die Visual Phasing-Methode braucht.

Schaubild 3. Die Anwendung One-to-one compare

Wenn wir die Daten bei GEDmatch hochladen und die Geschwister mittels der One-to-one-Anwendung vergleichen wollen, werden die Chromosomenkopien etwas anders dargestellt. Man sieht zwei Leisten: die obere mit entweder roten, gelben oder grünen Segmenten und die blaue untere Leiste. Die untere Leiste gibt die Größe der Segmente an – wenn man die Voreinstellungen nicht verändert, werden nur Segmente größer als 7cM (centiMorgans) angezeigt. Die obere Leiste ist für Visual Phasing unerlässlich und zeigt an, ob es halbidentische, komplett identische oder gar keine DNA-Übereinstimmungen zwischen zwei verglichenen Personen gibt.

Wenn wir Kind 1 und Kind 2 aus Schaubild 1 vergleichen würden, würde die obere GEDmatch-Leiste wie folgt aussehen:

Schaubild 4. Die Erläuterung der oberen GEDmatch-Leiste

  • rot bedeutet, dass auf beiden Chromosomenkopien die DNA von zwei verschiedenen Großeltern vererbt wurde (sogenannte NIR = non-identical region)
  • gelb bedeutet, dass auf einer Chromosomenkopie – entweder der mütterlichen oder der väterlichen – die DNA von einem gleichen Großelternteil stammt (sogenannte HIR = half identical region)
  • grün bedeutet, dass auf beiden Chromosomenkopien die DNA von den beiden gleichen Großeltern vererbt wurde (sogenannte FIR = fully identical region)

Die Stelle, wo es einen Wechsel zwischen rot und gelb oder gelb und grün gibt, nennt man Crossing-over oder schlicht Rekombinationspunkt. Man sollte bei der Anwendung der Visual Phasing-Methode beachten, dass grüne Segmente nur zu gelb wechseln können, aber nie direkt zu rot und umgekehrt. Falls es so bei euch aussehen sollte, dann habt ihr mit großer Wahrscheinlichkeit einen Rekombinationspunkt übersehen.

Der Vergleich der Geschlechtschromosomen funktioniert auf die gleiche Weise. Nur wird ein Bruder normalerweise keine komplett identische DNA-Abschnitte (grün) mit seiner Schwester auf dem X-Chromosom haben.

1.3 Die Zuordnung der Rekombinationspunkte einer bestimmten Person

Wir wissen, dass Kinder neu rekombinierte Chromosomensätze von ihren Eltern bekommen. Nun gilt es herauszufinden, wo genau es zur Neuvermischung der DNA kam und diese Rekombinationspunkte dem jeweiligen Kind unseres Visual Phasing Projektes zuzuordnen.

Schaubild 5.1 Der Vergleich der Haas Geschwister mithilfe der One-to-one compare-Anwendung

Jetzt müssen wir alle Rekombinationspunkte markieren.

Schaubild 5.2 Die Markierung der Rekombinationspunkte

Im nächsten Schritt ordnen wir die Rekombinationspunkte einer bestimmten Person zu.

Schaubild 5.3 Die Zuordnung der Rekombinationspunkte

Wenn man meine Tante mit meinem Onkel und dann mit meiner Mutter vergleicht, können wir sehen, dass eine Rekombination an derselben Position am Anfang stattgefunden hat. Da meine Tante in beiden Fällen beteiligt war, wird dieses Crossing-over ihr zugeordnet. Rekombinationspunkte werden der Person zugeordnet, die bei beiden Vergleichen an der gleichen Position beteiligt war. Jedoch ist es nicht immer so einfach wie in diesem Beispiel, denn es gibt durchaus komplizierte Fälle, in denen es zu sein scheint als würde ein Rekombinationspunkt drei Personen “gehören”.

Hier können die Rekombinationspunkte meiner Mutter zugeordnet werden:

und hier meinem Onkel:

Bitte beachtet, dass wir hier immer von zwei Chromosomenkopien sprechen – eine von der Mutter und eine vom Vater vererbt. Die hier gezeigten Crossing-over haben auf beiden Kopien stattgefunden. Von den vier Rekombinationen meines Onkels könnten zum Beispiel drei auf der mütterlichen und eine auf der väterlichen Kopie stattgefunden haben oder jeweils zwei auf beiden usw.

Da wir jetzt das Hintergrundwissen für die Visual Phasing-Methode haben, können wir zu der von Steven Fox programmierten Excel-Datei übergehen.

TEIL II DIE VON STEVEN FOX PROGRAMMIERTE EXCEL DATEI

Ich habe bereits erwähnt, dass man die Excel-Datei von Steven Fox im Moment nur in der Visual Phasing Arbeitsgruppe auf Facebook herunterladen kann. Wenn man gut Englisch spricht, kann man sich auch an die Visual Phasing Experten in der Gruppe wenden, sollte man mit seinem eigenen VP-Projekt irgendwo hängenbleiben.

2.1 Die Vorbereitung

Schaubild 6.1 Die Hauptseite

So sieht das Hauptarbeitsblatt aus, nachdem die Datei heruntergeladen wurde. Beim Öffnen der Datei muss man auf Inhalt aktivieren oder Makros aktivieren klicken, damit alle Funktionen richtig dargestellt werden.

Es besteht aus drei Bereichen zum Ausfüllen:

  • das Grandparent table, in welches die Vor- oder Nachnamen der Großeltern eingetragen werden
  • das Sibling table für die drei (oder mehr) getesteten Geschwister
  • das Cousin table für die DNA-Matches, die dabei helfen sollen, die verschiedenen Familienlinien voneinander zu unterscheiden

zwei Feldern zum Anklicken:

  • Build (startet den Prozess der Daten-Extraktion aus GEDmatch)
  • Delete (löscht alle Daten auf einmal für einen Neubeginn)

und zwei weiteren Menüs zum Aufklappen:

  • Tasks (verschiedene Aufgaben, auf die ich in meinem Beispiel eingehen werde)
  • Open (öffnet das Chromosom mit welchem man arbeiten möchte)

Wir beginnen damit die Masken nacheinander auszufüllen und fangen mit den Vor- oder Nachnamen der Großeltern im Grandparent table an. Danach tragen wir die Daten der Geschwister, die wir für unser Visual Phasing-Projekt ausgewählt haben, in das Sibling table ein – ihre Initialen, Namen sowie die jeweilige GEDmatch-Kit-Nr. und das Geschlecht. Zu guter Letzt noch die Daten von unseren DNA-Matches, die uns bei diesem Projekt helfen sollen. Mithilfe von Cousins und Cousinen 1. Grades können wir die mütterliche und die väterliche Chromosomenkopie voneinander unterscheiden und Cousins und Cousinen 2. Grades sind besonders hilfreich, wenn es darum geht, den jeweiligen Großelternteil zu identifizieren. Darüber hinaus kann man in das Cousin table auch weiter entfernte Verwandte eintragen, die man z.B. erst bei GEDmatch entdeckt hat. Hin und wieder stellen sie sich als das letzte Puzzlestück heraus!

Schaubild 6.2 Das Ausfüllen des Hauptblattes

Nachdem das Hauptarbeitsblatt ausgefüllt wurde, klickt man auf Build oben links. Ein Pop-up informiert uns, dass 23 Arbeitsblätter für die Chromosomen erstellt werden und ein weiteres Pop-up bittet um die Logindaten für GEDmatch. Es wird einem auch die Möglichkeit gegeben die Grenzwerte für SNP und cM manuell abzuändern.

Schaubild 7. Eingabe der GEDmatch-Logindaten und die Möglichkeit die Grenzwerte manuell zu ändern

Sobald man das gemacht hat, beginnt das Programm die Daten der Testpersonen aus GEDmatch zu extrahieren (sofern man die Nummern der GEDmatch-Kits richtig eingegeben hat).

Schaubild 8

In weniger als 20 Minuten informiert mich ein weiteres Pop-up, dass der Prozess abgeschlossen und 552 Bilder übertragen wurden. Wow! Stellt euch bloß vor, wie lange ich gebraucht hätte, um alle Bilder manuell aus GEDmatch zu kopieren!

Jetzt kann ich Chromosom 1 aus dem Dropdown-Menü auswählen, um zum Arbeitsblatt des ersten Chromosoms zu gelangen. Im Chromosomen-Arbeitsblatt findet man weitere Dropdown-Menüs, auf die ich in meinem Beispiel später eingehen werde.

Schaubild 9. Das Arbeitsblatt des ersten Chromosoms

Ich habe für mein Beispiel Chromosom 1 gewählt, weil es auf diesem Chromosom die benötigten Cousin-Treffer gab, um alle DNA-Segmente zuordnen zu können. Es handelt sich jedoch dabei um eins der beiden größten Chromosomen und ist für Anfänger daher eigentlich nicht zu empfehlen. Beim ersten Mal wären die Chromosomen 20, 21 oder 22 die weitaus bessere Wahl.

2.2 Rekombinationspunkte

In Teil I – die Grundlagen habe ich bereits alle Rekombinationspunkte meiner Mutter und ihren Geschwistern zugeordnet. Jetzt muss ich nur noch die formatierten Spalten an die vorher ausgemachten Rekombinationspunkte angleichen und die übriggeblieben Spalten auf der rechten Seite löschen.

Schaubild 10. Die Markierung der Rekombinationspunkte

Im nächsten Schritt ordnen wir die Rekombinationspunkte den Personen zu, indem wir ihre Initialen in die zweite Zeile eintragen.

Schaubild 11. Die Zuordnung der Rekombinationspunkte

2.3 Positionsangaben

Um Zahlen für einzelne Positionen auf dem Chromosom anzugeben, öffnen wir das Dropdown-Menü Task  und wählen Megabase aus der Aufgabenliste. Wegen der unterschiedlichen Skalierung werden sich die Zahlen jedoch etwas von denen bei GEDmatch unterscheiden. Wenn man mit genaueren Zahlen arbeiten möchte, kann man diese manuell abändern. Genauere Zahlenangaben bekommt man bei GEDmatch, allerdings werden dort nur die Start- und Endpositionen für halbidentische Segmente angegeben. Wenn man die Zahlen für komplett identische Segmente haben möchte, muss man vor dem One-to-one-Vergleich auf full resolution (volle Auflösung) klicken und dann am vergrößerten Chromosom entlang scrollen. Eine weniger umständliche Variante ist die Anwendung von David Pike Search for Shared DNA Segments in Two Raw Data Files. Nachdem man zwei extrahierte DNA-Rohdateien hochgeladen hat, bekommt man eine schön geordnete Liste aller DNA-Segmente. Zunächst die komplett identischen Segmente, die die beiden Personen gemeinsam haben, gefolgt von einer Liste mit halbidentischen Segmenten.

Schaubild 12. Positionsangaben

Und nun kann das Visual Phasing beginnen.

2.4 Grandparent codes – die Codes für die Großeltern

Am Anfang werden den Großeltern die allgemeinen Codes G1, G2, G3 und G4 zugeteilt. Im Dropdown-Menü Task wählen wir dazu Display codes aus. G1 & G2 gehören zusammen (entweder die mütterliche oder die väterliche Seite) und G3 & G4 ebenfalls. Im nächsten Schritt wählen wir Segment map im  anderen Dropdown-Menü Extra View aus. Sobald man mit der Einteilung der Segmente beginnt, wird diese Segmentkarte die oberen GEDmatch-Vergleichsbilder wiederspiegeln. Und wenn nicht, wird man sofort wissen, dass einem irgendwo ein Fehler unterlaufen ist.

Wie ihr sehen könnt, haben meine Mutter und meine Tante ein gemeinsames, komplett identisches Segment zwischen 115 und 156. Entsprechend gibt es bei beiden keine Übereinstimmung mit meinem Onkel an dieser Stelle. Aus diesem Grund können wir schon jetzt vier verschiedene Codes vier verschiedenen Großelternteilen zuordnen – zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissend, welchem Großelternteil welcher Code zugeordnet ist.

Schaubild 13. Die Codes für die Großeltern

2.5 Die Ausdehnung der Segmente

Nun können wir die Segmente bis zu den jeweiligen Rekombinationspunkten der Geschwister ausdehnen. (Nun ja, im Fall meiner Tante können wir das nicht – ihr Segment liegt genau zwischen ihren beiden Rekombinationspunkten.) Wählt dazu im Task-Menü die Option Extend aus.

Schaulbild 14. Die Ausdehnung der Segmente

Im Handumdrehen werden die Segmente ausgedehnt! Die Segmente meiner Mutter nach links bis zu ihrem Crossing-over bei 17.5 und nach rechts bis zum Crossing-over bei 183. Das Segment meines Onkels nach links bis zu seinem Rekombinationspunkt bei 94 und nach rechts bis 207.5

Geht wieder zum Task-Menü, wählt Global Options aus und fügt ein Häkchen bei Automatically extend segments ein. Wann immer möglich werden die Segmente jetzt automatisch (fast wie von Zauberhand!) ausgedehnt.

Schaubild 15. Global options – automatische Ausdehnung der Segmente

Schaut euch jetzt die Stelle zwischen 17.5 und 55 an – dort haben meine Mutter und meine Tante keine identische DNA, also werden meiner Tante an dieser Stelle gegensätzliche Codes zugeteilt. Statt G2 und G4 einzutippen, kann ich hier einfach einen Asterisk einfügen und sofort werden die richtigen Farben angezeigt und das Segment nach links bis zu ihrem Rekombinationspunkt bei 6 verlängert. Für die kleine Stelle zwischen 30 und 34 füge ich auch einen Asterisk ein, um meinem Onkel ebenfalls gegensätzliche Farben zuzuordnen, da er an dieser Stelle andere DNA-Segmente geerbt hat als meine Mutter, die aber komplett identisch sind mit denen, die meiner Tante gehören.

Schaubild 16

Zunächst sieht es so aus als würde ich nicht mehr weiterkommen, aber das ist nicht der Fall. Ich kann das Segment meiner Tante bis zu ihrem Rekombinationspunkt bei 222 ausdehnen, muss jedoch einen der Codes ändern – zu diesem Zeitpunkt macht es noch keinen Unterschied welchen, da wir noch keinem Großelternteil einen Code zugeordnet haben. Warum? Weil meine Tante zwischen 156 und 183 ein halbidentisches Segment mit beiden Geschwistern teilt, aber auf der jeweils anderen Kopie des Chromosoms, da meine Mutter und mein Onkel keine DNA-Übereinstimmung an dieser Stelle haben. Also füge ich ein “?” auf der oberen Kopie meiner Tante ein. Sofort ändert sich eine ihrer Farben und das Segment wird zu ihrem nächsten Rekombinationspunkt ausgedehnt.

Schaubild 17. Der Entscheidungspunkt

Das erlaubt mir die Stelle zwischen 183 und 207.5 für meine Mutter auszufüllen und dann wiederum 207.5-222 für meine Mutter und Onkel, da die Segmente aller drei Geschwister hier komplett identisch sind. Also füge ich wieder einen Asterisk ein und das Segment meiner Mutter dehnt sich automatisch nach links bis 183 und nach rechts bis 238 aus. Das Segment meines Onkels wird ganz bis zum Ende ausgedehnt.

Schaubild 18

Aber jetzt komme ich wirklich nicht mehr weiter.

Idealerweise füllt man zuerst die Chromosomen komplett aus und wendet sich erst danach seinen Cousins und Cousinen zu, um die jeweiligen Codes einer der vier Familienlinien zuzuordnen. In meinem Fall muss ich jedoch schon jetzt meine genetischen Verwandten miteinbeziehen.

2.6 Die Einbeziehung der Cousins und Cousinen 1. Grades

Unter den Personen, die einen DNA-Test für mich gemacht haben, ist auch E.A., die Cousine 1. Grades mütterlicherseits der Haas-Geschwister. E.A. und die Haas-Geschwister haben die gleichen Großeltern mütterlicherseits – Großmutter Ottilia Arnhold und Großvater Heinrich Antoni. Schauen wir mal, ob der Vergleich mit E.A. uns sagen kann, welche der beiden Chromosomenkopien von der Mutter und welche vom Vater stammt.

Da ich die GEDmatch-Kit-Nr. von E.A. vorher in das Cousin table eingetragen habe, wurden ihre Daten ebenfalls aus GEDmatch in die Datei übertragen und ich kann sie nun im Dropdown-Menü auswählen. In Sekundenschnelle kann ich sehen an welchen Stellen ihre DNA mit der von den Haas Geschwistern übereinstimmt! Alle Informationen findet man auf einem Blick – zusätzlich zu den Schaubildern, finde ich links die Anfangs- und Endpunkte aller ihrer gemeinsamen Segmente. Steven Fox ist die Programmierung dieser Excel-Datei wirklich gut gelungen!

Schaubild 19. Die Einbeziehung der Cousine 1. Grades

E.A. stellte sich als ein hervorragender Cousin-Treffer heraus! Wir können jetzt nicht nur zwischen den mütterlichen und väterlichen Chromosomenkopien unterscheiden, dank E.A. sind wir auch in der Lage alle drei Chromosomenpaare der Haas-Geschwister zu vervollständigen!

G1 und G2 stammen von der Mutter, weil die DNA-Segmente von E.A. sowohl mit meiner Mutter als auch mit meiner Tante von 119.5 bis 156 übereinstimmen und dann weiter nur mit meiner Mutter bis 165.5, weil meine Tante bei 156 zu G2 wechselt.

Schaubild 20. Die Unterscheidung der mütterlichen von der väterlichen Chromosomenkopie

Da wir nun wissen bei welcher Kopie es sich um die mütterliche und bei welcher um die väterliche handelt, können wir die Option Replace auswählen und die G1 und G2 Codes mit M1 und M2 ersetzen. Aus G3 und G4 werden auf die gleiche Weise P1 und P2.

Schaubild 21. Code-Wechsel

Des Weiteren stimmt die DNA von E.A. zwischen 6 und 14.5 mit allen drei Geschwistern überein und wir haben meiner Tante bereits M2 zwischen 6 und 17.5 zugeordnet. Daher wird meiner Mutter und meinem Onkel ebenfalls M2 zwischen 6 und 17.5 zugeordnet und ihre Segmente verlängern sich automatisch bis ganz nach links. Zusätzlich verlängert sich das Segment meines Onkels nach rechts bis zu seinem Rekombinationspunkt bei 30. Auf der väterlichen Kopie ordnen wir den beiden an dieser Stelle P1 zu (da die Übereinstimmung mit der Tante nur halbidentisch ist).

Da es keine DNA-Übereinstimmungen zwischen meiner Tante und ihren beiden Geschwistern an dem kleinen Stück von Anfang bis 6 gibt, werden ihr hier M1 & P2 zugeordnet.

Schaubild 22

Die DNA von E.A. stimmt mit allen drei Haas-Geschwistern auch zwischen 67 und 94 überein und wir wissen bereits, dass meine Mutter auf ihrer mütterlichen Chromosomenkopie an dieser Stelle M1 hat. Meinem Onkel werden daher M1 auf der mütterlichen Kopie und P2 auf der väterlichen Kopie zugeordnet. Außerdem verlängert sich sein Segment nach links bis zu seinem Crossing-over bei 34. Sein Chromosomenpaar ist nun fertig!

Wir sehen auch, dass meine Tante und mein Onkel ein komplett identisches Segment zwischen 55 und 94 haben und ordnen deshalb meiner Tante hier ebenfalls M1 und P2 zu. Ihr Segment verlängert bis zu ihrem nächsten Rekombinationspunkt bei 106.

Schaubild 23. Das erste fertige Chromosomenpaar

E.A. hat mit meiner Tante ein weiteres gemeinsames Segment zwischen 238 und 244, aber nicht mit meinem Onkel, der an dieser Stelle M2 hat. Daher ordnen wir meiner Tante M1 auf der mütterlichen Kopie und P1 auf der väterlichen Chromosomenkopie zu (wegen der halbidentischen Übereinstimmung mit meinem Onkel). Das Segment meiner Tante dehnt sich automatisch nach links bis zu ihrem Rekombinationspunkt bei 222 aus.

Meiner Mutter können wir jetzt von 238 bis zum Ende die gegensätzlichen Codes M2 & P2 zuordnen, da es hier keine DNA-Übereinstimmung zwischen ihr und meiner Tante gibt. Das Chromosomenpaar meiner Mutter ist nun auch fertig!

Schaubild 24. Das zweite fertige Chromosomenpaar

Es bleiben nur noch zwei Positionen, die für meine Tante ausgefüllt werden müssen. Zwischen 106 und 108 wird ihr M2 & P2 zugeordnet, da ihre DNA hier mit meinem Onkel komplett übereinstimmt. Da E.A. zwischen 108 und 115 ein gemeinsames DNA-Segment mit meiner Mutter hat, aber nicht mit beiden anderen Haas Geschwistern, wird meiner Tante auf der mütterlichen M2 und auf der väterlichen Kopie P1 zugeordnet. Voilá – alle drei Chromosomenpaare sind nun fertig!

Schaubild 25. Das dritte fertige Chromosomenpaar

2.7 Die Einbeziehung der Cousins und Cousinen 2. Grades

Bevor wir die Cousins und Cousins 2. Grades mit ins Spiel bringen, lasst uns erst zurück zu Extra view gehen, um einen Blick auf die Segment map zu werfen – ob wir denn auch alle Segmente richtig zugeordnet haben? Für einen besseren Überblick wählt Merge aus dem Task-Menü aus – gleiche Zellen werden dann zu einer verbunden, was das Ganze viel aufgeräumter aussehen lässt. Und wenn man es vorzieht, die väterliche Kopie statt der mütterlichen oben zu haben, kann man Flip aus dem Task-Menü auswählen. Bis jetzt sieht alles super aus!

Schaubild 26

Wenn uns Cousins oder Cousinen 2. Grades zur Verfügung stehen, ist es für Visual Phasing geradezu ideal, da sie direkt auf einen der Großelternteile hindeuten.

N.B. ist eine Cousine 2. Grades meiner Mutter und ihrer Geschwister und hat sich gern dazu bereit erklärt, eine DNA-Probe abzugeben (sie scherzte, dass wenigstens ihre Speichelprobe in die USA reisen würde, während sie selbst nie dazu kam). Ihre Großmutter väterlicherseits, Margaretha Arnhold, und die Großmutter der Haas-Geschwister mütterlicherseits, Ottilia Arnhold, waren Schwestern.

Ich gehe wieder zu Extra view und wähle N.B. aus.

Schaubild 27. Die Einbeziehung einer Cousine 2. Grades

Es sieht danach aus, dass der M1-Code der Arnhold-Linie zugeordnet werden kann. Die DNA von N.B. stimmt mit dem komplett identischen Segment meiner Mutter und meiner Tante von 115-156 überein und die Übereinstimmung mit meiner Mutter setzt sich weiter bis 165.5 fort, während meine Tante bei 156 zu M2 wechselt. Den M2-Code kann man demzufolge der Antoni-Linie zuordnen, der Linie des Großvaters mütterlicherseits.

Im Replace Dropdown-Menü kann man M1 jetzt mit Arnhold und M2 mit Antoni ersetzen.

Schaubild 28. Die DNA-Segmente der Großeltern mütterlicherseits

2.8 Einbeziehung weit entfernter Verwandten aus GEDmatch

Was die väterliche Seite der Haas-Geschwister angeht, ist alles sehr viel komplizierter. Der Vater meiner Mutter kam als kleiner Junge nach dem Tod seiner Eltern in ein Waisenhaus und wusste nichts über seine biologischen Verwandten – nicht einmal der Name seiner Mutter war ihm bekannt. Alles was er später erfuhr war, dass der Rest seiner Familie etwa zum Zeitpunkt seiner Geburt nach Kanada und in die USA auswanderte. Keine Namen, keine Orte. Wer hätte gedacht, dass ein Jahrhundert später ein wenig Spucke neue Erkenntnisse bringen würde?

Einer unserer interessantesten, erst durch die Gendatenbank gefundener DNA-Treffer, ist der inzwischen verstorbene W. Schlegel, der den DNA-Test vor einigen Jahren für seine Nichte machte, als sie ihre wolgadeutschen Wurzeln erforschte. Die Vorfahren von W. Schlegel wanderten aus Pobochnoye, einer evangelisch-lutherischen Siedlung an der Wolga, nach Kanada aus und ich wusste sofort, dass es eine Verbindung zu meinem Großvater gab. Pobochnoye war die Mutterkolonie der Geburtsstadt meines Großvaters (meine Großmutter stammte aus seiner ganz anderen Region an der Wolga und ihr Stammbaum ist gut erforscht).

Was ihn noch außergewöhnlicher für uns machte, war die Tatsache, dass er mit uns durch die Mutter meines Großvaters verwandt war. Ja, meine gänzlich unbekannte Urgroßmutter! Warum ich mir dann dessen so sicher sein kann? Weil W. Schlegels DNA mit der DNA-Segmenten meiner Mutter und meiner Tante auch auf dem X-Chromosom (jeweils 18cM) übereinstimmt! Das X-Chromosom, welches mein Großvater seinen Töchtern weitergab, bekam er selbst von seiner Mutter vererbt.

Aus diesem Grund kann ich beim Vergleich der DNA-Segmente, die W. Schlegel und die Haas-Geschwister gemeinsam haben, diese ihrer Großmutter väterlicherseits zuordnen. Darüber hinaus kann man anschließend durch das Ausschlussverfahren die komplementären Segmente auf derselben Kopie des Chromosoms auch dem Großvater väterlicherseits zuordnen.

Da ich die GEDmatch Kit-Nr. von W. Schlegel vorher ebenfalls in das Cousin table eingetragen habe, kann ich nun auch auf seine Daten zugreifen und gehe dazu zu Extra view.

Schaubild 29. Die Einbeziehung eines entfernt verwandten Cousins

Die DNA von W. Schlegel stimmt mit der DNA meiner Mutter und meiner Tante zwischen 144 und 180 überein, mit meinem Onkel dagegen gibt es auf diesem Chromosom keine Übereinstimmung. Aus diesem Grund können wir den P1-Code der Großmutter väterlicherseits zuordnen – der unbekannten Mutter meines Großvaters. Entsprechend wird der P2-Code der Haas-Linie zugeordnet, der Linie des Großvaters väterlicherseits. Während ich den P2-Code im Replace Menü mit Haas ersetzen kann, gibt es für den P1-Code zum jetzigen Zeitpunkt leider noch keinen Namen, weshalb er erst einmal PGM sein wird (paternal grandmother – Großmutter väterlicherseits).

Wir sind fertig!

Schaubild 30. Die gelungene Zuordnung der DNA-Segmente auf dem 1. Chromosom

FAZIT

Allein mit logischen Schlussfolgerungen schafft man es manchmal nicht, alle Bereiche eines Chromosoms zu vervollständigen, weil es mehrere Ausgangsmöglichkeiten gibt. Ein Fortkommen ist aber dennoch möglich, wenn man weitere Verwandte mit ins Spiel bringt.

Die Visual Phasing-Methode kann einen bei seiner Ahnenforschung enorm unterstützen, insbesondere wenn man in eine Sackgasse aufgrund von Adoption oder kaum vorhandenen Unterlagen zu den eigenen Vorfahren gerät, weil es uns einen wertvollen Einblick in unsere genetische Zusammensetzung gibt. Wenn ihr selbst adoptiert seid, aber z.B. drei eigene Kinder habt, könnt ihr diese Methode ebenfalls anwenden, um eure DNA-Treffer zwei verschiedenen (der mütterlichen und väterlichen) Seiten zuzuordnen.

Diese großartige Methode erlaubt uns außerdem Abstammungstheorien zu bestätigen oder zu verwerfen. Stellt euch vor, jemand würde bei mir in der DNA-Datenbank auftauchen, dessen DNA auf dem ersten Chromosom zu großen Teilen mit meiner übereinstimmt und in dessen Stammbaum auch noch der Name Haas vorkommt. Allzu schnell würde ich dazu neigen, diese Person mit der väterlichen Seite meines Großvaters in Verbindung zu bringen. Nachdem ich jedoch die Visual Phasing- Methode auf dem ersten Chromosom meiner Mutter angewendet habe, weiß ich, dass sie, das bei Weitem größte Stück ihrer väterlichen Kopie von der Mutter meines Großvaters geerbt hat und somit für mich die Wahrscheinlichkeit ein Haas-Segment auf diesem Chromosom bekommen zu haben auf ein Minimum geschrumpft ist. Daher würde ich jetzt in so einem Fall viel vorsichtiger sein, keine voreiligen Schlüsse mehr ziehen und einer anderen Möglichkeit der Verwandtschaft mit dieser Person sehr viel offener gegenüberstehen als vorher.

Im Moment bin ich dabei diese Methode an den Chromosomenkopien meines Vaters und seiner Geschwister anzuwenden, was bedeutet, dass ich irgendwann theoretisch dazu in der Lage sein werde, meine gesamte DNA allen meinen 8 Urgroßeltern zuzuordnen! Mit dem Wissen welche Segmente ich von welchem Vorfahren bekommen habe, werde ich meine Treffer in der DNA-Datenbank sehr viel zuverlässiger einordnen können oder neu gruppieren – was eines Tages vielleicht der Schlüssel zu unserem Familienrätsel sein wird. Oder zu eurem.

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