Ein einfaches Visual Phasing-Beispiel für Anfänger

Seit Ende 2016 arbeiten sehr viele amerikanische DNA-Genealogen mit der Visual Phasing Methode, während in Deutschland kaum jemand von ihr gehört hat. Dabei ist diese Methode geradezu genial, denn sie ermöglicht es einem, die DNA mehrerer Geschwister ihren vier Großelternlinien zuzuordnen, auch wenn die Großeltern selbst bereits verstorben sind. (Wenn mehr als drei Geschwister zur Verfügung stehen, kann man mit dieser Methode nahezu vollständige DNA-Profile der Großeltern rekonstruieren.) Man braucht jedoch zusätzlich die DNA-Daten mehrerer Seitenverwandten – idealerweise Cousins und Cousinen zweiten Grades – da erst durch die DNA-Übereinstimmungen mit diesen ein konkretes Großelternteil identifiziert werden kann.

Am Anfang stellt das Erlernen dieser Methode eine große Herausforderung dar, da sie fortgeschrittene Kenntnisse der DNA-Genealogie voraussetzt. Deshalb ist es ratsam mit den beiden kleinsten Chromosomen 21 oder 22 zu beginnen. Noch einfacher ist die Arbeit mit dem X-Chromosom, da man hier nur mit der mütterlichen Chromosomenkopie arbeitet und die DNA-Segmente folglich nur den beiden Großeltern mütterlicherseits zugeordnet werden. Männer haben ein X-Chromosom, welches ihnen von ihrer Mutter vererbt wurde. Frauen haben zwar zwei, aber eines ihrer X-Chromosomen, welches sie von ihrem Vater bekommen haben, muss nicht gephast werden, weil es von vorne rein nur die DNA der Großmutter väterlicherseits enthält. Hier ein Schaubild dazu:

Auf den 22 autosomalen Chromosomen wird die DNA mittels Visual Phasing allen vier Großeltern zugeordnet:

Voraussetzung für das Visual Phasing sind die One-to-one-Vergleiche zweier bzw. mehrerer Geschwister bei GEDmatch. Es werden dabei beide Chromosomenkopien einer Person mit beiden Chromosomenkopien einer zweiten Person verglichen. Auf der oberen GEDmatch-Leiste werden dabei entweder grüne, gelbe oder rote Segmente angezeigt. Durch die farblichen Kombinationen lässt sich die DNA zu etwa gleichen Teilen vier verschiedenen Vorfahren zuordnen – also den Großeltern.

Grün bedeutet, dass die DNA auf beiden Chromosomenpaaren an dieser Stelle von denselben beiden Großeltern stammt.

Gelb bedeutet, dass die DNA auf einem Chromosom vom denselben Großelternteil stammt, auf dem anderen Chromosom an dieser Stelle dagegen von verschiedenen Großeltern.

Rot bedeutet, dass die DNA auf den Chromosomenpaaren beider Geschwister an dieser Stelle von zwei verschiedenen Großeltern stammt.

Wir werden in meinem Beispiel heute mit den X-Chromosomen arbeiten, daher gibt es noch ein paar weitere Punkte zu beachten. Der Vergleich der DNA von zwei Vollschwestern wird nur grüne und gelbe Segmente zeigen, weil ihr väterliches X-Chromosom immer identisch ist (und nur die DNA der Großmutter väterlicherseits enthält). Hier der Vergleich meiner Mutter mit ihrer Schwester auf dem X-Chromosom:

Ein Vergleich mit ihrem Bruder kann dagegen nur gelbe oder rote Segmente zeigen, weil ein Mann nur ein X-Chromosom hat und es deshalb keine komplett identischen (also keine grünen) DNA-Übereinstimmungen geben kann:

Es kann immer nur einen Wechsel von grün zu gelb oder gelb zu rot und umgekehrt geben, jedoch nie von grün zu rot direkt. Wenn es dennoch so aussehen sollte, kann das nur bedeuten, dass zwei Rekombinationspunkte dicht beieinander liegen und ein Rekombinationspunkt übersehen wurde.

Durch den Wechsel der Farben werden zwar alle Rekombinationspunkte markiert, doch bei welcher Person das Crossing-over stattfand, sagt es nichts aus. Das kann man erst herausfinden, wenn man eine Person mit zwei Geschwistern vergleicht. Ein Rekombinationspunkt wird immer der Person zugeordnet, bei der es beim Vergleich mit zwei anderen Geschwistern einen Wechsel an derselben Position gibt. Wenn man die One-to-one-Vergleiche meiner Mutter mit ihren Geschwistern zusammen betrachtet, kann man zwei Positionen erkennen, auf denen die Crossing-over auf dem X-Chromosom meiner Mutter stattgefunden haben müssen:

Da ich selbst keine Vollgeschwister habe, muss ich bei der Anwendung dieser Methode mit den Daten meiner Eltern und ihrer Geschwister arbeiten. Dank des Ergebnisses der visuell gephasten X-Chromosomen meiner Mutter und dem anschließenden Vergleich mit meiner Halbschwester mütterlicherseits, habe ich aber doch noch herausfinden können, von welchen Vorfahren die DNA auf meinem mütterlichen X-Chromosom (und auch auf dem meiner Schwester) stammt. Wie unterschiedlich die Weitervererbung an mich und meine Halbschwester ausgefallen ist, könnt ihr in diesem Beitrag nachlesen.

Um mit der Visual Phasing Methode zu arbeiten, muss man die DNA-Rohdaten der Geschwister bei GEDmatch hochladen. (Falls ihr Sicherheitsbedenken habt, gibt es die Möglichkeit eure DNA-Kits bei GEDmatch auf “Research” umzustellen – dann werden die Kits für niemanden außer euch sichtbar.) Steven Fox hat eine Excel-Datei für das Visual Phasing programmiert, mit der es deutlich schneller voran geht, als früher bei der manuellen Anwendung. Seine Excel-Datei kann man kostenfrei in der amerikanischen Visual Phasing-Gruppe bei Facebook herunterladen.

Im Hauptarbeitsblatt der Excel-Datei müssen als erstes drei Felder ausgefüllt werden:

  • im Grandparent table werden die Namen der vier Großeltern eingetragen
  • im Sibling table werden die Namen und die Kit-Nummern der Geschwister eingetragen
  • im Cousin table werden die Namen und Kit-Nummern der Seitenverwandten eingetragen

Dann geht man auf Build oben links. Es werden zunächst 23 neue Arbeitsblätter für die jeweiligen Chromosomen erstellt und danach wird um die Zugangsdaten für GEDmatch gebeten. Man sollte bei der Erstellung nicht so viele Kit-Nummern von Seitenverwandten auf einmal eintragen – besser wäre es sie nachträglich in kleinen Gruppen hinzuzufügen – denn das Herunterladen der Daten aus GEDmatch wird mehrfach durch die Captchas unterbrochen.

Sobald alle Daten heruntergeladen wurden, gehen wir zum Dropdown-Menü Open und wählen Chromosom 23 aus. Die nächsten Schritte sind:

  1. Markierung der Rekombinationspunkte – man passt die Spalten überall dort an, wo es einen Wechsel zwischen grün und gelb oder gelb und rot gibt
  2. Zuordnung der Rekombinationspunkte (in die obere Spalte) – ein Rekombinationspunkt wird immer der Person zugeordnet, bei der es beim Vergleich mit zwei anderen Geschwistern einen Wechsel an derselben Position gibt
  3. Positionsangaben für die Rekombinationspunkte – sie können den blauen Kästen auf der linken Seite entnommen werden oder automatisch eingetragen werden, wenn man “Megabase” im Dropdown-Menü Tasks auswählt

Jetzt können wir mit dem Visual Phasing beginnen. Im Dropdown-Menü Tasks wählen wir dazu “Display codes” aus. (Die Codes G1-4 stehen für die vier Großelternteile. G1 & G2 gehören zusammen und G3 & G4 ebenfalls – sie stehen entweder für die mütterliche oder die väterliche Linie.)

Zwischen 92Mb und 115Mb gibt es eine komplett identische Übereinstimmung zwischen meiner Mutter und meiner Tante. Mit meinem Onkel gibt es bei den beiden dagegen keine DNA-Übereinstimmung an dieser Stelle. Also trage ich bei meiner Mutter und Tante hier jeweils G1 & G3 und bei meinem Onkel nur G2 ein (weil er nur ein X-Chromosom hat).

Nur hier auf dem X-Chromosom kann ich den G3-Code meiner Mutter und meiner Tante sofort ihrer Großmutter väterlicherseits zuordnen. (Es handelt sich dabei um das identische X-Chromosom, welches sie von ihrem Vater bekommen haben.) Dazu gehe ich zum Dropdown-Menü Replace und ersetze G3 mit “Oma Sophia”.

Jetzt müssen die Segmente bis zu ihren jeweils nächsten Rekombinationspunkten ausgedehnt werden. “Oma Sophia” wird dabei in beide Richtungen bis zum Ende ausgedehnt (weil es nur ihre DNA auf diesem Chromosom ist). Damit es etwas ordentlicher aussieht, kann man “Merge” im Tasks-Menü auswählen, wodurch die Zellen mit dem gleichen Code verbunden werden. Der G1-Code meiner Tante bleibt zunächst so wie er ist, da dieses Segment sich genau zwischen ihren beiden Rekombinationspunkten befindet. Der G1-Code meiner Mutter wird dagegen nach links bis zu ihrem Rekombinationspunkt bei 46Mb und nach rechts bis zu ihrem Rekombinationspunkt bei 118Mb ausgedehnt. Der G2-Code meines Onkels wird nach links bis zum Anfang ausgedehnt und nach rechts bis 146Mb.

Da auf dem X-Chromosom das Visual Phasing nur auf der mütterlichen Kopie stattfindet, wird die DNA abwechselnd nur den beiden Großeltern mütterlicherseits zugeordnet. Das Ganze wird dadurch enorm vereinfacht! Denn immer, wenn es einen Rekombinationspunkt gibt, wechselt man entweder von G1 zu G2 oder von G2 wieder zu G1! Somit wechselt meine Mutter bei 46Mb zu G2 und ihr Segment wird nach links bis zum Anfang ausgedehnt (weil sie keine Rekombinationspunkte mehr hat). Dasselbe passiert auf der rechten Seite, als ihr Code bei 118Mb zu G2 wechselt und bis zum Schluss ausgedehnt wird. Ihr mütterliches X-Chromosom ist nun fertig! Auch das Chromosom meines Onkels ist fertig, nachdem er bei 146Mb zu G1 wechselt!

Auf dem mütterlichen X-Chromosom meiner Tante gibt es gleich sieben Rekombinationspunkte, doch auch das ist leicht. Es ändert sich ebenfalls nur der Code abwechselnd von G1 zu G2, dann wird das Segment bis zu ihrem nächsten Rekombinationspunkt ausgedehnt und danach wiederholt sich das Ganze wieder von G2 zu G1. Jetzt sind alle drei Chromosomenpaare komplett!

Nun gilt es herauszufinden, welcher Code welchem Großelternteil gehört. Dazu wähle ich N.B. im Dropdown-Menü Extra View aus (ich habe ihre Kit-Nummer vorher im Cousin table eingetragen) und vergleiche sie mit den Haas-Geschwistern. N.B. ist eine Cousine zweiten Grades – ihre Großmutter war die jüngere Schwester von Ottilia, der Großmutter mütterlicherseits der Haas-Geschwister. Die DNA von N.B. stimmt mit der DNA meiner Tante an der Position überein, die vorher dem G1-Code zugeordnet wurde. Also kann ich im Replace-Menü den G1-Code jetzt mit “Oma Ottilia” ersetzen. Durch das Ausschlussverfahren kann auch der G2-Code “Opa Heinrich” zugeordnet werden. Nun ja, eigentlich seiner Mutter Agnes Weltz – weil er sein X-Chromosom unrekombiniert von ihr erhalten hat.

Wie ihr sehen könnt, stammt die DNA auf dem X-Chromosom meines Onkels zum großen Teil von seiner Urgroßmutter! Und hätte mein Onkel eine Tochter gehabt, würde sie sein X-Chromosom unrekombiniert erhalten, welches somit zu solch einem großen Teil aus der DNA ihrer Ur-urgroßmutter bestehen würde, die 1852 geboren wurde! Deshalb kann bei zwei Personen selbst mit einer sehr großen DNA-Übereinstimmung auf dem X-Chromosom der gemeinsame Vorfahre sehr weit zurückliegen – insbesondere dann, wenn es keine weiteren gemeinsamen DNA-Segmente auf den autosomalen Chromosomen gibt.

Vermeidung “versteckter” Rekombinationspunkte

Eigentlich würden die Cousins und Cousinen zweiten Grades vollkommen ausreichen, wenn es um die Identifizierung der jeweiligen Großelternteile geht. Es gibt jedoch sogenannte “versteckte” Rekombinationspunkte, die das Ergebnis verfälschen können. (Sie sind nicht im eigentlichen Sinne versteckt, heißen aber so, weil sie im visualisierten Schaubild nicht zu erkennen sind.) Das kommt vor, wenn mehrere Geschwister einen Rekombinationspunkt an fast derselben Position auf ihren jeweiligen Chromosomen haben – dann heben sich die Crossing-over in der Visualisierung der Chromosomen gegenseitig auf und verfälschen so das Ergebnis. Das kann man vermeiden, indem man die Geschwister mit anderen nahen Verwandten vergleicht z.B. Cousins oder Cousinen ersten Grades. Wenn ich I.M., eine Cousine ersten Grades auf der mütterlichen Seite, mit den Haas-Geschwistern vergleiche, werden alle Rekombinationspunkte der Haas-Geschwister bestätigt!

Ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag das Prinzip von Visual Phasing verständlich vermitteln konnte. Wenn man es einmal verstanden hat, kann es sehr viel Spaß machen auf diese Weise seine eigenen Chromosomen zu phasen! Und die unbekannten Treffer in den DNA-Datenbanken kann man dann sehr viel leichter den jeweiligen Familienlinien zuordnen!

Wie ich dieses Ergebnis auf den X-Chromosomen meiner Mutter und den X-DNA-Vergleich mit meiner Halbschwester mütterlicherseits dazu genutzt habe, etwas über die Zusammensetzung meines eigenen mütterlichen X-Chromosoms zu erfahren, findet ihr hier.

2 Kommentare

  1. Hallo,
    total interessant, obwohl die DNA Forschung für mich immer noch ein Buch mit 7 Siegeln ist. Ich werde es mal mit meiner Mutter, meinem Onkel und meiner Großtante ausprobieren, geht das? Der Vater meiner Großtante ist ein absoluter toter Punkt.
    Finde deine Berichte echt gut
    Viele Grüße Alexandra Seemann

    1. Vielen lieben Dank, Alexandra!

      Mit zwei Geschwistern und weiteren Seitenverwandten ist Visual Phasing zwar viel komplizierter, aber nicht gänzlich unmöglich! Also könntest du es auf jeden Fall mit den DNA-Daten deiner Mutter und deines Onkels versuchen. Der Vergleich mit der Großtante könnte dir dann helfen, die Rekombinationspunkte deiner Mutter und deines Onkels voneinander zu unterscheiden.

      Die DNA-Genealogie mag hin und wieder kompliziert erscheinen, aber wenn man sich gerne damit beschäftigt, kommen die AHA-Momente früher oder später 🙂 (Als ich Visual Phasing vor drei Jahren gelernt habe, musste ich den Blogbeitrag von Blaine Bettinger dazu mindestens zehn Mal lesen bis es klick gemacht hat!)

      Hier ist ein Blogbeitrag über die Anwendung von Visual Phasing mit zwei Geschwistern: https://genealogylady.net/2017/05/02/down-the-dna-rabbit-hole-visual-phasing-with-two-siblings/

      Viel Erfolg und vor allem viel Spaß dabei!

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